Warum nicht die Realität entscheidet – sondern das, was du von ihr erwartest
- Jannik Bärmann
- 25. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Kennst du das? Du hast eine längere Fahrt vor dir und wirfst am Abend zuvor noch einen Blick auf Google Maps um zu schauen, wie lange es ungefähr dauern wird, bis du an deinem Ziel angekommen bist. Angegeben sind drei Stunden. Am nächsten Tag fährst du los, die erste Stunde vergeht wie im Fluge. Doch dann: Stau. Die Ankunftszeit auf dem Navi verschiebt sich immer weiter nach hinten. Erst 10 Minuten, dann 15 – und irgendwann eine ganze Stunde. Nach insgesamt vier Stunden Fahrt kommst du dann endlich an deinem Ziel an. Du bist erschöpft und gleichzeitig genervt und der Tag ist gelaufen.
Stell dir nun folgende Situation vor: Anstelle von drei Stunden Fahrtzeit sind fünf Stunden angegeben. Es kommt zu keinem Stau, die Straßen sind frei und du erreichst dein Ziel nach nur vier Stunden. Was empfindest du jetzt? Wahrscheinlich bist du glücklich über die stressfreie Fahrt, entspannt und voller Vorfreude auf den restlichen Tag.
In beiden Situationen hast du genau gleich lange benötigt um an dein Ziel zu kommen, jedoch ist dein Empfinden dabei völlig unterschiedlich. Wie kann das sein?
Der Grund ist einfach: Obwohl das Ergebnis identisch ist, war deine Erwartung zu Beginn der Fahrt eine völlig andere. Das hier beschriebene Phänomen beschränkt sich nicht nur auf Autofahrten, sondern findet sich regelmäßig in unserem Alltag wieder. In der Psychologie ist vom sogenannten „Expectation Effect“ (auf deutsch: Erwartungseffekt) die Rede. Dieser beschreibt, wie unsere Erwartungen nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern oft auch den tatsächlichen Verlauf einer Situation beeinflussen.
Wenn ich mir beispielsweise das neue Album eines Künstlers anhöre, dessen Musik mir bislang nicht gefallen hat und ich davon überzeugt bin, dass auch dieses Album nicht zu meinen Favoriten zählen wird, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass genau das zutreffen wird. Egal, wie gut die Lieder objektiv betrachtet sind.
Wie stark Erwartungen sogar das Verhalten und die Leistung anderer beeinflussen können, zeigt eine berühmte Studie von Robert Rosenthal und Lenore F. Jacobson aus dem Jahr 1968: Lehrkräften wurde zu Beginn des Schuljahres fälschlicherweise mitgeteilt, dass bestimmte Schüler besonders begabt seien. Am Ende des Schuljahres hatten genau diese Schüler tatsächlich besser abgeschnitten – nicht, weil sie klüger waren, sondern weil die Lehrer unbewusst höhere Erwartungen an sie hatten, sie stärker förderten und ihnen mehr Aufmerksamkeit schenkten. (Pygmalion-Effekt).
Übrigens gehören auch der Placebo-Effekt (wenn ich davon überzeugt bin, eine Tablette – selbst wenn sie nur aus Zucker besteht – hilft gegen meine Kopfschmerzen, kann sie tatsächlich die Schmerzen lindern) und der Nocebo-Effekt (wenn ich erwarte, dass ich bei einem Medikament Nebenwirkungen spüren werde, verspüre ich diese oftmals auch – selbst wenn es diese objektiv gar nicht gibt).
In den seltensten Fällen ist also das Ergebnis selbst ausschlaggebend für unsere Reaktion – sondern vielmehr die Erwartung, die wir im Vorfeld daran geknüpft haben.
Vielleicht fragst du dich jetzt, was das konkret für deinen Alltag bedeutet – und wie du deine Erwartungen gezielt so steuern kannst, dass sie einen positiven Einfluss auf dein Leben haben.
Unsere Erwartungen entstehen nicht einfach so – sie werden von unseren Erfahrungen, unseren Glaubenssätzen, unserem Umfeld und durch das, was wir uns selbst erzählen geprägt. Wem beispielsweise ständig etwas schief läuft erwartet mit der Zeit automatisch eher das Negative.
Im Folgenden möchte ich dir kurz drei Strategien vorstellen, wie du deine Erwartungen, und damit auch den Ausgang, diverser Situationen beeinflussen kannst.
Reframing
Stell dir vor, du musst eine Präsentation halten. Du erwartest, dass du nervös bist und dich blamierst. Was wäre, wenn du diese Nervosität nicht als Schwäche, sondern als Zeichen deiner Vorbereitung und Bedeutung der Aufgabe interpretierst? Diese bewusste Umdeutung – Reframing genannt – kann deine innere Haltung komplett verändern und ist die erste dieser Strategien.
Positive mentale Bilder
Eine weitere Option kann es sein, dich zwar realistisch, aber auch konstruktiv auf eine Situation einzustellen: statt dir ständig Gedanken über die Worst-Case-Szenarien zu machen könntest du dir vorstellen, was passieren würde, wenn es gut läuft. Wie würdest du dich in diesem Moment fühlen? Was wäre dann alles möglich? Positive mentale Bilder können eine Erwartung erzeugen, die dich motiviert und stärkt – statt dich zu blockieren und behindern.
Sprache bewusst wählen
Zuletzt kannst du auf deine eigene Wortwahl achten. Denn diese hat ebenfalls einen Einfluss auf unsere Erwartungen. Anstelle von „Das wird bestimmt schiefgehen“ kannst du beispielsweise „Ich bin gespannt, wie es läuft – ich gebe mein Bestes“ sagen. Unsere Sprache beeinflusst unser Denken und das wiederum formt unsere Erwartungen.
All dies sind Techniken, mit denen ich auch im Coaching arbeite. Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, kannst du dich gerne über meine Webseite bei mir melden.
Erwartungen sind keine festgelegten Tatsachen – sie sind gedankliche Vorwegnahmen. Je bewusster wir damit umgehen, desto stärker gestalten wir nicht nur unsere Reaktion – sondern unser ganzes Erleben.


